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Dauert die Umsetzung von evidenzbasierten Leitlinien 10 bis 17 Jahre?

Auch wenn Sie, liebe Besucherinnen und Besucher der DBRD-Website, die in der Überschrift formulierte Frage eventuell als Provokation auffassen: es scheint so zu sein.

In einem Editorial von Levy (Levy MM, Crit Care Med 32 [Suppl 1]: S595-597) heißt es, dass es 10 - 17 Jahre dauert, bis eine evidenzbasierte Leitlinie in der breiten Fläche zur Anwendung gelangt.

 

In einer Veröffentlichung (Cabana MD, Why don't physicians follow clinical practice guidelines?, JAMA 282: 1458-1465) kam man zu dem Schluss, dass der Mangel an Wissen, eine negative Einstellung und eine gering ausgeprägte Bereitschaft zur Veränderung des Verhaltens die Hauptgründe für ein fehlendes Umsetzen von Leitlinien sind. (Den Artikel im Volltext lesen).

Sinn von Leitlinien und EBM
Das Wort "evidence" bedeutet im englischen soviel wie "Beweis". Evidence-based-medicine (EBM) bedeutet also, dass es sich um eine beweisgestützte Medizin handelt. Evidenzbasierte Leitlinien stellen den Konsens zahlreicher Experten und - zumeist - auch verschiedener Fachgesellschaften dar. Das Leitlinienkonforme Vorgehen dient somit dem Wohle des Patienten und wird in der Regel dazu beitragen, dass der Anwender "richtig" handelt, also juristisch auf sicherem Boden steht. Die Erstellung von Leitlinien führt aber leider nicht immer dazu, dass diese auch zur Anwendung kommen. So wird in dem Buch "Evidenzbasierte Medizin in Anästhesie und Intensivmedizin" (R. Kuhlen, R. Rossaint) ausgeführt, dass "die meisten Richt- und Leitlinien ihren gesteckten Zielen nicht gerecht" werden. "Die Beachtung solcher Empfehlungen liegt in manchen Bereichen bei nur 20%".

Wie steht es hierzulande um die Umsetzung von Leitlinien?
Es soll hier keine Verallgemeinerung stattfinden. Dennoch gibt es dazu eine interessante Arbeit von J. Martin (Göppingen), A. Schleppers (Mannheim) und C. Spies (Berlin). Diese gingen der Frage "Wie bringen wir sinnvoll medizinische Erkenntnisse ans Krankenbett?" nach. Die Ergebnisse wurden auf dem Deutschen Anästhesiecongress (DAC) 2007 / der 54. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin vorgestellt. Zwar ging es hierbei um kein Thema, welches das Rettungsfachpersonal tangiert, aber dennoch sollten uns die Ergebnisse nachdenklich stimmen. Aus diesem Grund werden sie hier vorgestellt, denn es wird ein Problem beleuchtet, welches viele Kolleginnen und Kollegen sicherlich aus ihrer täglichen Arbeit kennen.

In einer von den Autoren zitierten Leitlinie, die sich mit dem Thema Sepsis befasst, wurde gezeigt, dass die medizinischen Erkenntnisse in der Praxis kaum umgesetzt werden. Zwar wussten 70% der leitenden Ärzte, dass Patienten im akuten Lungenversagen (ARDS) mit niedrigen Atemzugvolumina (Vt) von 6 ml/kg KG beatmet werden sollen, weil dies zu einer deutlichen Reduzierung der Sterblichkeit führt. Aber nur 4% der Patienten wurden auch mit der sogenannten Low-Tidal-Volume-Beatmung therapiert!

Schlussfolgerung der Autoren
Die Autoren folgern daraus, dass ein strukturiertes Change-Management (Veränderungsmanagement) notwendig sei, um die eingangs genannten Haltungen positiv zu verändern. Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse müssten auch routinemäßig in der breiten Fläche zur Anwendung gelangen.

Sicht des DBRD e.V.
Aus Sicht des DBRD e.V. zeigen die Erkenntnisse auf, wie wichtig es ist, dass im Rettungsdienst alle beteiligten Berufsgruppen regelmäßig und idealerweise gemeinsam an geeigneten Schulungen teilnehmen. Zertifizierte Kurssysteme sind ein hervorragender Rahmen, um die entsprechenden Kenntnisse zu erwerben bzw. aufzufrischen und zu trainieren. Daher ist die Etablierung von zertifizierten Kurssystemen von Anfang an durch den DBRD e.V. befürwortet und propagiert worden.

Weitere Informationen

(SD)

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