Rettungsdienst und Notaufnahmen für die Zukunft stärken
Die neue Bundesregierung hat angekündigt, innerhalb der ersten hundert Tage nach Amtsantritt Gesetzesvorschläge zur Reform des Notfall- und Rettungsdienstes unter Berücksichtigung bisheriger Entwürfe vorzulegen. Dieses Vorhaben wird von uns ausdrücklich unterstützt, da der Rettungsdienst, die Notfallversorgung und im besonderen die Notaufnahmen in zunehmendem Maße vor große Herausforderungen gestellt werden. Umfassende strukturelle Anpassungen sind erforderlich, damit diese wichtigen Komponenten der Notfallversorgung auch zukünftig das Sicherungsnetz der Gesellschaft darstellen können. Nicht zuletzt die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Rettungsdienst große Flexibilität, Kompetenz und Zuverlässigkeit mitbringt und durch seine klaren Leitungsstrukturen deutlich besser zu steuern ist als viele andere Bereiche des Gesundheitswesens.
Gemeinsam fordern die Vertreter derjenigen, die jeden Tag die Rettungskette von der Einsatzstelle bis in die Zentrale Notaufnahme wirksam werden lassen,
- die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands e. V. (BAND),
- der Bundesverband der Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst Deutschland e. V. (BV ÄLRD),
- der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst e. V. (DBRD),
- die Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V. (DGINA) und
- der Fachverband Leitstellen e. V. (FVLST),
die zukünftige Bundesregierung auf, zügig wichtige Weichenstellungen vorzunehmen. Basis dafür sollte der am Ende der vergangenen Legislaturperiode erzielte, von unseren Verbänden und wissenschaftlichen Fachgesellschaften sowie von den Gesundheitspolitikern parteiübergreifend konsentierte Entwurf sein.
Aus gesellschaftlicher, betrieblicher und medizinischer Sicht ist schnelles Handeln notwendig, da der Rettungsdienst derzeit sowohl Unter- als auch Über- und Fehlversorgung erlebt. Dies wird vielen Hilfesuchenden und Patienten nicht gerecht, belastet das Personal, und verursacht hohe Kosten für die Gesellschaft. Für die kommenden Jahre wird ein Anstieg der Einsätze um bis zu 50 % prognostiziert, was kein Weiter-so zulässt.
Alle an der Rettungskette beteiligten Berufsgruppen sind sich einig, dass bei den Beratungen zur Reform des Rettungsdienstes und der Notaufnahmen insbesondere folgende Punkte Beachtung finden müssen:
Leitstelle:
- Eine moderne und vernetzte notfallmedizinische Versorgung beginnt mit der Ermittlung des individuellen medizinischen Risikos des jeweiligen Hilfeersuchens. Dafür sind standardisierte Notrufabfrageprotokolle in den Integrierten Leitstellen (112) verbindlich einzusetzen. Diese müssen in die Lage versetzt werden, Rettungsmittel bedarfsgerecht disponieren zu können. Dazu sind zusätzliche niederschwellige Dispositionsoptionen wie beispielsweise Gemeindenotfallsanitäter (rettungsdienstlich qualifizierte Single Responder) oder vergleichbare Strukturen flächendeckend zu etablieren.
- Die Synchronisation der Abfrageprotokolle inklusive medienbruchfreier Fallübergaben sowie eine mit den Terminservicestellen 116 117 der ambulanten ärztlichen Versorgung abgestimmte Patientensteuerung sind unerlässlich. Eine Fallübergabe an die 116 117 setzt voraus, dass dort eine verbindliche Zusage zur unmittelbaren Weiterversorgung (aufsuchender Dienst, Praxistermin) erfolgt. Eine physische Zusammenlegung beider Leitstellen ist nicht zwingend notwendig.
- Integrierte Leitstellen (112) müssen bei Bedarf bereits im Notrufdialog auch telemedizinische Beratung anbieten können, um unnötige Inanspruchnahmen des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dazu sollten die telemedizinischen Standorte in gleicher Weise digital mit den Sprach- und Datenkommunikationssystemen der Leitstellen (112) vernetzt werden wie die Terminservicestellen 116 117. Die rechtlichen Grundlagen für Videotelefonie im Notruf 112 sind zu schaffen.
- Zur Realisierung leistungsfähiger und zugleich ökonomisch tragfähiger Leitstellensysteme braucht es gemeinsame Technikplattformen, eine umfassende digitale Vernetzung oder Regionalisierungen. Eine Planungsgröße von 1 bis 1,5 Millionen zu versorgenden Einwohnern erscheint dabei sachgerecht. Die technische Integration der Terminservicestellen 116 117 in diese Systeme ist anzustreben.
- Integrierte Leitstellen müssen verbindlich sicherstellen, dass telefonische und zukünftig auch videotelefonische Anleitungen in Reanimationssituationen und für Erste-Hilfe-Maßnahmen erfolgen. Interoperable Ersthelfer-Apps und professionelle First-Responder-Systeme sollten gefördert und in das Hilfeleistungssystem integriert werden. Zusätzlich ist eine verbindliche Echtzeitübersicht verfügbarer Behandlungskapazitäten für alle Akteure der Gesundheitsversorgung bereitzustellen.
- Trotz erweiterter medizinischer Funktionen zur Patientensteuerung und zur Abwehr lebensbedrohlicher Gefahren bleibt die Rolle der Integrierten Leitstellen (112) in der integrativen Koordination von Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz zentral. Als etablierte Ansprechpartner in der Gefahrenabwehr und im Krisenmanagement müssen sie erhalten bleiben. Ihre Funktion im medizinischen Bevölkerungsschutz ist zusätzlich zu stärken und rechtlich zu verankern.
Rettungsdienst:
Die Hilfesuchenden definieren den Notfall, das System muss die Antwort darauf geben. Für eine adäquate Reaktion auf Hilfeersuchen und Notrufe muss das System mit weiteren Antwortmöglichkeiten ausgestattet werden, die für die Hilfesuchenden eine moderne, bedarfsgerechte und angemessene Versorgung ermöglichen. Dazu muss zum Teil der Rettungsdienst mit weiteren professionellen Reaktionsmöglichkeiten ausgestattet werden (z. B. Gemeindenotfallsanitäter, Psychosoziale Notfallversorgung), und es müssen verbindliche Kooperationen mit anderen Diensten (z. B. SAPV-Team, Akutpflegedienste etc.) ermöglicht werden. Für die Einsatzmittel des professionellen Rettungsdienstes müssen bundesweit Leitplanken für einheitliche (Mindest-)Standards der Struktur- und Prozess- sowie der medizinischen Qualität und der Qualitätssicherung definiert werden. Zwischen diesen müssen lokale Anpassungen an die Bedürfnisse vor Ort möglich sein, die aber nicht die Qualifikation und Handlungsmöglichkeiten der im Rettungsdienst eingesetzten Berufsgruppen eingrenzen dürfen. Der ambulante Bereich muss durch die Einbindung von Arztpraxen als Anlaufstelle für niederschwellige Notfallereignisse und einen rund um die Uhr aufsuchenden Dienst zuverlässig verfügbar und in die Notfallversorgung eingebunden werden. Dazu muss der Vorabgenehmigungsvorbehalt (§ 60 SGB V) für die Anfahrt des Rettungsdienstes zu den Arztpraxen abgeschafft werden. Die Professionalisierung des präklinischen Rettungsfachpersonals muss vorangetrieben und die bereits möglichen Fähigkeiten müssen voll ausgeschöpft werden.
Schnittstelle Rettungsdienst – Zentrale Notaufnahme:
Ein Rettungsdienst kann nur dann leistungsfähig sein, wenn die Patienten problemlos zur Weiterbehandlung übergeben werden können. Eine Übergabe an den ambulanten Bereich muss künftig möglich sein, stellt jedoch in der Gesamtzahl der rettungsdienstlichen Einsätze eine Ausnahme dar und wird nicht zu einer relevanten Entlastung führen. Wichtigster Partner in der Rettungskette sind die Zentralen Notaufnahmen der Kliniken: Sowohl für kritisch erkrankte und verletzte Patienten als auch für komplexe und dynamische Krankheitsbilder muss diese Schnittstelle zur „Nahtstelle“ werden. Dazu sollten Zentrale Notaufnahmen einheitliche Mindestvoraussetzungen an die Struktur- und Prozessqualität erfüllen sowie ausreichend finanziert und verbindlich mit Fachärzten mit Zusatzweiterbildung „Klinische Notfall- und Akutmedizin“ und Fachpflegepersonal besetzt sein.
Die Zusammenarbeit am Bindeglied zwischen Notaufnahme und Rettungsdienst sollte im Rahmen von Qualitätszirkeln erfasst und ausgewertet werden, um Hinweise zur Prozess- und Ergebnisqualität der Notaufnahme und des Rettungsdienstes zu erfassen. Digitale Behandlungsnachweis- und Zuweisungssysteme sollten auch bundeslandübergreifend möglich sein.
Der in der letzten Legislaturperiode weitgehend konsentierte Entwurf des Notfallgesetzes enthält zusammen mit der im KHVVG vorgesehenen Einführung der „Leistungsgruppe Notfallmedizin“ zahlreiche wichtige Bausteine für eine zielführende Weiterentwicklung. Ohne die Einführung der „Leistungsgruppe Notfallmedizin“ jedoch sind die Erfolge einer Reform des Rettungsdienstes gefährdet.
Digitalisierung:
Um die Notfallversorgung effizienter und leistungsfähiger zu gestalten, muss ein vollständiger und medienbruchfreier Datenaustausch zwischen allen Akteuren innerhalb der Notfallversorgung gesetzlich verpflichtend vorgegeben werden. Dies gilt sowohl zwischen den einzelnen Dokumentationssystemen als auch zwischen Medizingeräten und Dokumentationssystemen. Die ePA muss datensicher ausgebaut und für die verschiedenen Akteure nutzbar gemacht werden. Landesweite und im weiteren Verlauf bundesweite Notfallregister zur einheitlichen Datengewinnung runden diese Systeme ab. Sowohl die Anmeldung von Patienten in Kliniken als auch die Verlegungsplanung muss über einheitliche digitale Systeme und Schnittstellen erfolgen.
Finanzierung:
Die Finanzierung von Rettungsdienst und Notaufnahmen muss vorhaltefinanziert und nicht nutzungsabhängig gesichert werden. Die Kosten dafür sind transparent darzustellen (z. B. Kosten-Leistungs-Nachweis) und müssen regelmäßig nachsteuerbar sein. Unterfinanzierung oder Ausgleich durch Haushalte der Kommunen oder Krankenhausträger sind zu vermeiden. Dabei sind lokale bzw. regionale Strukturen und Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.
Die zu finanzierende Ausstattung hat sich am Stand von Wissenschaft und Technik zu orientieren. Kostenträger, Träger des Rettungsdienstes und Krankenhäuser agieren dabei auf Augenhöhe innerhalb abgestimmter Leitplanken. Die Möglichkeiten für wissenschaftliche, medizinische oder prozessbezogene Evaluationsprojekte müssen geschaffen werden.
Alle Gesellschaften bieten sich an, die Gestaltung der Reformen aktiv zu begleiten und beratend zur Seite zu stehen.
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